Zen oder das Porträt eines Vogels

Vor ein paar Tagen kam auf ARTE der Film „Zen for nothing“. Darin wird hauptsächlich geschwiegen. Die wenigen Worte, wie das Gedicht von Jacques Prevert, gehen dafür umso näher.

Der Film dokumentiert den Aufenthalt einer jungen Schweizerin im Zen-Kloster Antaiji, in den Bergen an der Westküste Japans. Es wird darin nur ganz wenig gesprochen. Die Kamera beobachtet nur; z.B. den Tagesbeginn um vier Uhr früh. In der Meditationshalle sitzen die Menschen schweigend, Hüften und Beine in eine Decke gehüllt. Währenddessen entfacht ein Mönch in der Küche ein Holzfeuer im Ofen und kocht über offener Flamme das Frühstück. Aufsteigender Dampf lässt die Kälte erahnen. In der Meditationshalle gehen die Zeiger auf sechs Uhr zu. Die Kamera schwenkt auf zufallende Augen, ein unterdrücktes Gähnen. Beim Klang der Glocke eine Verneigung und alle marschieren zügig und auf nackten Füßen in den Essraum.

Ich fühlte mich beim Zuschauen an meine eigenen Erfahrungen mit Exerzitien erinnert: Die Rückenschmerzen nach 6,5 Stunden Sitzen, die Mahlzeiten im Schweigen, das Zurückgeworfensein auf mich selbst und die existenziellen Fragen, die nach mehrtägigem Schweigen hochkamen. Vom Zuschauen wurde ich sehr müde und sehnte mich nach meinem Bett. Ich unterbrach den Film nach der Hälfte der Zeit, aber die Bilder gingen mir nicht aus dem Kopf. Denn genauso wie an die Mühen erinnerten mich die Bilder an die Erfahrung des Gegenwärtigseins. Diese Aufmerksamkeit zeigt sich im Film in den einfachen täglichen Verrichtungen der  Gemeinschaft aus Mönchen, Frauen und Männern verschiedener Nationalitäten – sei es beim Fegen und Wischen der Böden oder bei der ritualisierten Reinigung des Essgeschirrs. Am nächsten Abend schaute ich den Film weiter.

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Auch im zweiten Teil wurde nicht viel erklärt oder nach Erfahrungen oder Motivation gefragt, aber es wurde doch ein wenig gesprochen. Ein junger Amerikaner und eine Japanerin lasen eine Art Selbstzeugnis vor, das in bewegender Weise von ihren persönlichen Mühen und Zweifeln auf dem Weg berichtete. In einer weiteren Szene sitzt die junge Schweizerin vor der Sangha (Gemeinschaft) und ist offenbar beauftragt worden, eine Ansprache zu halten. Sie berichtet, dass sie zur Vorbereitung in die Bibliothek gegangen ist und einige Bücher ausgewählt hat, aber nicht wusste, wie und wo sie anfangen sollte. Dann hat sie eines aufgeschlagen und das Gedicht von Jacques Prevert „Das Porträt eines Vogels“ gefunden. Während sie es vorliest, versagt ihr mehrmals die Stimme. Denn das Herbeilocken des Vogels und das Warten müssen in der Stille beschreiben die Erfahrung des Zen-Wegs: Man setzt sein ganzes Leben ein ohne zu wissen, ob der Vogel kommt und ob er singen wird.

Hier ist das Gedicht:

Das Porträt eines Vogels
Male zuerst einen Käfig mit offener Tür.
Dann male etwas, was hübsch ist,
und einfach
schön und nützlich,
für den Vogel.
Male dann einen Baum
In einem Garten,
in einem Gehölz,
in einem Wald.
Verbirg dich hinter dem Baum,
sprich nicht
und halte still…
Manchmal kommt der Vogel geschwind,
doch mag es auch Jahre dauern,
bis das geschieht.
Laß den Mut nicht sinken
Und warte.
Viele Jahr, wenn der Vogel so will.
Ob er geschwind kommt oder zögernd,
der Wert des Bildes wird davon nicht berührt.
Kommt er dann,
falls er kommt,
übe tiefes Schweigen,
bis er im Käfig ist.
Verschließe die Tür mit einem sanften Pinselstrich.
Dann
Lösche alle Gitterstäbe aus,
einen nach dem anderen
und hüte dich, die Federn des Vogels zu berühren.
Male dann das Bild eines Baumes
Und wähle den schönsten seiner Zweige
Für den Vogel,
warte auf sein Singen.
Singt er nicht,
ist es ein schlechtes Omen,
und ein schlechtes Bild.
Singt er,
ist es ein gutes Omen,
du kannst ein gutes Bild mit deinem Namen zeichnen.
Mit sanften Händen reiß‘ dem Vogel eine Feder
Aus dem Gefieder,
und schreibe deinen Namen
an den Rand.

Jaques Prevert

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