Weihnachten: Der Körper ist ein Fest

In der Vorstellung vieler spiritueller Traditionen ist der Körper ein Haus, das für die Zeit des irdischen Lebens die Seele beherbergt. Oft spielt er nur eine untergeordnete Rolle oder wird als sündig verleugnet. Weihnachten ist eine gute Zeit, das zu überdenken, finde ich.

Franz von Assisi nannte seinen Körper „Bruder Esel“ und ging schlecht mit ihm um. Bernard von Clairvaux soll sich durch seine extrem asketische Lebensweise eine chronische Magenschleimhautentzündung zugezogen haben und immer eine Schale mit sich geführt haben, weil er sich häufig erbrechen musste. Aber nicht nur in der christlichen Tradition findet man Körperfeindlichkeit. Auch in buddhistischen Traditionen wird vor der Verführung duch die Sinnesorgane gewarnt, die man auch als „Räuber“ bezeichnet.

Ich halte es lieber mit dem römischen Dichter Juvenal, der schrieb: „Beten sollte man darum, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei.“ Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich meinen Körper bisher nur gesund erhalten, damit er mir und meinen Zielen dienen kann. Ich übergehe sein Bedürfnis nach Schlaf und Ruhe, wenn die Arbeit sich auftürmt. Ich bemerke ihn kaum, wenn ich viele Stunden am PC arbeite. Und häufig verpasse die Freude des aufmerksamen essens, weil ich unter Zeitdruck bin oder in Gedanken woanders.

Nachdenklich gemacht hat mich das Zeugnis einer spirituellen Lehrerin, bei der ein großer Unterleibskrebs diagnostiziert wurde. Sie kündigte darauf ihren Job, gab keine spirituellen Belehrungen mehr und unterzog sich allen möglichen Therapien, von der Akupunktur bis zur Tiefenpsychologie, „um das an mir umzustellen, was zu jenem Krebs geführt hatte. Ich wurde meinem Körper gegenüber demütig.“ Diese Erfahrung bezeichnet sie 15 Jahre später als den größten Wendepunkt in ihrem Leben:

„Ich hatte meinem Körper bis dahin nur zur Praxis eingesetzt. Jetzt hatte ich in ihm zu wohnen, ihn zu respektieren, ihn mit all meiner weiblichen Kraft und verständnisvollen Fürsorge zu lieben, die bisher ausschließlich meiner spirituellen Praxis gegolten hatten. Meinem Körper die Treue zu halten war nun meine Übung, und es lohnte sich. Meine anfänglichen Begriffe von Vollkommenheit und Glück reichten nicht an die Lebensfreude heran, die ich nun erfuhr. Ich liebe meinen Körper auf ganz neue Weise. Es bietet so viel Freiheit.“

Das ist nur eines der Beispiele, die Jack Kornfieldich seinem lesenswerten Buch: „Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen“ zitiert. Er spricht sich dafür aus, den Umgang mit dem Körper als einen Teil der spirituellen Praxis zu begreifen. Letztlich ginge es darum, auf die Bedürfnisse des Körpers zu achten, ohne sich in den Extremen der Genußsucht oder Selbstverleugnung zu verlieren. Das klingt sehr nach dem Weg der Mitte, der in der Chinesischen Medizin als der goldene Weg gilt.

Tatsächlich geht es aber nicht nur um das Maßhalten, sondern darum, die sinnlichen Freuden zu genießen, ohne von ihnen abhängig zu sein. Mir fällt die Geschichte eines christlichen Mönchs ein, der unter sehr einfachen Bedingungen in einem Kloster lebte. Eines Tages wurde er wegen seiner Weisheit an den Hof des Königs gerufen und er lebte dort einige Wochen. Eines abends fragte der König ihn: „Seitdem Du hier bist, genießt Du jeden Tag die erlesenen Speisen und den Wein an meiner Tafel. Du schläfst in einem warmen, bequemen Bett, und hast alle Bequemlichkeiten des Lebens am Hof. Was ist nun der Unterschied zwischen Dir und mir?“ Der Mönch antwortete: „Ja, ich genieße die sinnlichen Freuden an Deinem Hof, aber wenn ich in mein Kloster zurückkehre, werde ich sie nicht vermissen. Du hingegen würdest darunter leiden, nur karge Mahlzeiten zu erhalten, auf einem harten Bett in einer kleinen Zelle zu schlafen und Deine Tage mit Beten und Arbeit zu verbringen.“

Es ist nicht leicht, dieses Gleichgewicht zu halten. Ich denke da zum Beispiel an das bevorstehende Weihnachtsfest, das zumeist ein Überangebot an sinnlichen Freuden mit sich bringt. Und dabei trotzdem die Gefahr einer gewissen Leere und Traurigkeit birgt, weil an die Weihnachtsfreude aus Kindertagen nicht etwas Neues getreten ist, etwas, das über unser bloßes irdisches Dasein hinausweist. Die Chinesische Medizin begreift den Menschen als ein Wesen zwischen Himmel und Erde. Er ist durch seinen Körper an die Erde gebunden, aber trotzdem strebt er immer wieder dem Himmel zu.

In der westlichen Kultur hat Goethe dies in seinem „Faust“ durch das Gleichnis der Zikaden ausgedrückt. Im Prolog im Himmel lässt er Mephisto zu Gott über dessen Schöpfung, den Menschen, sagen:

Ein wenig besser würd er leben,
Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,
Nur tierischer als jedes Tier zu sein.
Er scheint mir, mit Verlaub von euer Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Zikaden,
Die immer fliegt und fliegend springt
Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt.

Weihnachten ist das Fest von einem Gott, der sich entschieden hat, in einem menschlichen Körper geboren zu werden. Ich wünsche mir, immer mehr zu erfahren, dass das Leben in und mit diesem Körper ein Fest ist! Oder, um es mit den Worten von Jack Kornfield zu sagen: „Bei richtiger Pflege erwacht im kostbaren menschlichen Leib die Liebe zum Leben überhaupt. Der Impuls zu sorgen, zu pflegen, zu heilen, Liebe und Offenheit zu verkörpern, nimmt zu. Die in uns getrennten Welten vereinigen sich zu einem Ganzen.“

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!

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