Waldbaden – schon mal gehört?
Der Wald ist neueren Erkenntnissen zufolge ein gutes Antidepressivum. Waldspaziergänge senken unseren Stresslevel sogar, wenn wir dabei grübeln. Aus Sicht der TCM ist das nicht verwunderlich.
In unserer Verbandszeitschrift „Naturheilpraxis“ schrieb ein Kollege aus Berlin kürzlich über den Wald als pflanzliches Antidepressivum (1). Er referierte eine Studie der Universitäten von Michigan und Stanford, in der 20 Patienten mit Depression zu täglich zwei Spaziergängen von je 50 Minuten motiviert wurden. Während die eine Gruppe in den Wald ging, bewegte sich die andere im städtischen Umfeld (2).
Es ist nicht schwierig zu raten, dass die Gruppe der Waldspaziergänger sich besser fühlte. Als Nebeneffekt verbesserte sich auch ihr Kurzzeitgedächtnis. Interessant finde ich, dass diese Wirkungen eintraten, obwohl der für die Depression typische negative Gedankenfluss der Patienten auch im Grünen nicht abriss.
In Japan erforscht man die heilende Wirkung des Waldes schon etwas länger. Dort wird das „Waldbaden“ (Shinrin Yoku) nach Auskunft meines Kollegen seit 1982 von den Gesundheitsbehörden gefördert. Inzwischen gibt es auch Shinrin Yoku-Organisationen in anderen Ländern (einschließlich Deutschland), die Programme zur Stressbewältigung und Stressprävention anbieten.
Bei der Recherche zu Shinrin Yoku bin ich auf einen Review-Artikel in der Fachzeitschrift „Frontiers in Psychology“ von August 2015 gestoßen, der zahlreiche wissenschaftliche Begründungen liefert, warum der Wald gesund ist – von der guten Luft über die Senkung des Cortisol-Spiegels bis hin zu verbesserter Hirnleistung. (Ming Kuo: How might contact with nature promote Human Health? Promissing mechanisms and a possible central pathway)
Ich frage mich, ob wir inzwischen eine medizinische Rechtfertigung brauchen, um uns so etwas einfaches und wohltuendes wie einen Waldspaziergang zu erlauben. Aber da wir schon einmal dabei sind, möchte ich noch die Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin hinzufügen. Der Wald ein idealer Ort zur Stressprävention, weil er laut der Lehre der fünf Wandlungsphasen, die auf einer Jahrtausende alten Beobachtung der Natur beruht, ganz offensichtlich zur Wandlungsphase Holz gehört.
Zum Holz gehört aber auch das Organ, das auf Stress am empfindlichsten reagiert, nämlich die Leber und ihr Funktionskreis. In der TCM ist Stress mit der Diagnose Leber-Qi-Stagnation gleichzusetzen (siehe dazu auch Gefühlschaos im Frühjahr). Bewegung im Wald bringt also stagniertes Leber-Qi zum Fließen – und zwar in einem optimalen Umfeld. Zur Wandlungsphase Holz gehören auch noch die Farbe grün und der Frühling. Und die Wanderseele Hun. Nachts ruht sie nach Vorstellung der alten Chinesen in der Leber und beschert uns Träume. Am Tag zeigt sie uns Wünsche und Visionen für unser Leben. Ich finde, der Wald ist ein wunderbarer Ort, die Seele baumeln zu lassen oder chinesisch ausgedrück: den Hun umherschweifen zu lassen.
1. Sebastian Vigl: Der Wald. Ein pflanzliches Antidepressivum, in: Naturheilpraxis 12 (2016), S. 53.
2. Berman, M.G., Kross, E., Krpan, K.M., et al.: Interacting with nature improves cognition and affect for individuals with depression, in: J Affect Disord. November 2012, S. 300-305.