Kung Fu im Alltag trainieren

Als ich vor mehr als 10 Jahren mit Kung Fu begann, hörte ich, „Kung Fu“ bedeute „harte Arbeit“. Oder „durch harte Arbeit etwas erreichen“. Damit wir nicht verbissen trainierten, erinnerte unser Lehrer uns immer wieder daran zu lächeln. Trotzdem: mit Anfang 50 begann mich das Training anzustrengen. Zuerst dachte ich, es liege an der späten Trainingszeit. Aber ich sah allmählich ein, dass im Alter auch die Leistungsfähigkeit sinkt.

Also kehrte ich zurück zum Yoga, das ich von Jugend an praktiziert hatte. Auch das fiel mir das nicht mehr so leicht wie früher. Aber nach einigen Wochen „erinnerte“ der Körper sich an die Übungen. So fühlte ich mich am nächsten Tag nicht mehr so kaputt. Was mir aber fehlt, ist das Training mit Waffen. Das fiel mir auf, als ich vor kurzem das Zen-Bogenschießen in der Frankfurter Meditationskirche ausprobierte. Einen Pfeil abzuschießen erfordert genausoviel Aufmerksamkeit und innere Ruhe wie die Meditation. Zu wissen, dass ich bei Unachtsamkeit jemanden verletzten kann, zwingt mich zur Präsenz. Das machte für mich auch im Kung Fu das Training mit Stock, Säbel oder Schwert so reizvoll.

Kung Fu im Zen-Kloster

Also gab ich mir noch eine Chance, indem ich im Zen-Kloster nach Waldbröl fuhr. Dort hat der vietnamesische Zen-Mesiter Thich Nhat Hanh das eiab (European Institute of Applied Buddhism) gegründet. Ich belegte dort einem Kung Fu Kurs mit Stock bei Bruder Phap Cu. Das wichtigste, was ich von ihm gelernt habe, ist eine weitere Übersetzung von Kung Fu. Es heißt auch: „immerfort trainieren“. Und zwar egal, ob man Kung Fu- oder Tai Qi Quan-Formen trainiert, Qi Gong oder Yoga übt. Ja sogar die einfachen Arbeiten im Haushalt können in Sinne des Kung Fu ein Training sein. Wenn man es schafft, Geist und Körper zusammenzuhalten.

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Bruder Phap Cu brachte das Kung Fu auf eine einfache Formel. Er sagte: „Wenn wir im Tun oder Sein vollkommen gegenwärtig sind, kann das Qi im Körper fließen. Dann sind wir voller Energie. Umgekehrt fühlen wir uns immer erschöpfter, je länger der Körper die eine Sache tut und der Geist irgendwo anders ist. Das konnten wir beim Lernen der Stock-Form, die für Anfänger recht anspruchsvoll ist, unmittelbar erfahren. Mit manchem Bewegungsablauf mühten wir und auch nach wiederholten Vorführungen ab. Die Gehirnwindungen schienen sich zu verknoteten und die Muskeln verpannten sich. Dann forderte Bruder Phap Cu uns auf, entspannt zu stehen. Wir hielten den Stock aufrecht in der rechten Hand und die Linke hinter dem Rücken. So nahmen wir mit geschlossenen Augen für ein paar Atemzüge. Körper und Geist konnten sich wieder verbinden.

Dein Stock ist Dein Freund

„Your stick is your friend“, sagte er. Und „your stick is your mind“. Einen müden oder unaufmerksamen Schüler erkennt man nämlich daran, dass er den Stock nicht mehr aufmerksam führt. Er hält ihn schief, lässt ihn am Boden aufschlagen oder aus den Händen fallen.

Seit meiner Rückkehr bin ich aufmerksamer geworden für die Situationen, in denen ich ermüde. Und ich stelle fest, dass ich dann meist in Gedanken bin. Stattdessen versuche ich mich zu erfrischen, indem ich um mich schaue. Dann sehe ich z.B vom Regen tropfnasse Blättern und atme bewusst die rein gewaschene Luft. Oder ich bemerke, dass ich mir den Geschmack des Essens entgehen lasse. Bruder Phap Cu hat uns zum Abschluss gesagt:

Wer Kung Fu übt, kann überall hingehen. Er oder sie wird nichts vermissen, weil er innerlich frei ist.

Das ist mein neues Trainigsziel. Und darüber kann ich ruhig alt werden.

 

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