Gefühlschaos im Frühjahr
Das Frühjahr ist eine explosive Zeit. Man merkt es daran, wie kraftvoll und unaufhaltsam die Pflanzen ans Licht kommen und wachsen. Diese Energie spüren auch Menschen. Wie bändigen wir sie?
Wenn die Sonne scheint, hält es mich kaum drinnen. Ich will raus, mich bewegen, Dampf ablassen. Wenn das nicht geht, bin ich ungeduldiger und reizbarer als sonst. Oder ich bekomme am Vormittag einen leichten Kopfschmerz, der weg geht, wenn ich Kaffee trinke (was ich selten mache). An manchen Tagen werde ich mit dem ersten Tageslicht wach. Zwischendurch gib es Tage, an denen ich abends zu müde bin für das Training und früh schlafen gehe. Ab und zu habe ich Nieß-Attacken (0bw0hl ich nicht unter Heuschnupfen leide).
In der Praxis klagen die Patienten jetzt häufiger über Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen (zwischen gereizt und traurig), Schmerzen in Bändern und Sehnen und Heuschnupfen. Aus der Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) gehören alle diese Symptome zur Wandlungsphase Holz, also dem Früjahr. Die Energie richtet sich nach oben und außen, wie bei den Pflanzen. Die zugehörige Emotion ist die Aggression, was nicht nur Wut und Zorn meint. Der lateinische Wortstamm „aggredi“ bedeutet nicht nur angreifen, sonder auch etwas in Angriff nehmen, oder an eine Sache herangehen. Wir können die Energie des Frühjahrs also gut nutzen, um etwas Neues in unserem Leben anzupacken.
Das Organ, das im Frühjahr besonders aktiv ist, ist die Leber. Im Klassiker „Der Gelbe Kaiser“ heißt es:
„Die Leber bekleidet das Amt des Generals einer Armee. Die Einschätzung der Umstände und das Erstellen der Pläne stammen von ihr.“
Der General hat Pläne, Träume und Visionen für unser Leben und er hat die nötige Energie, sie durchzusetzen. Dabei hilft ihm sein Partner, die Gallenblase. Sie steht in der TCM für Mut, einen Plan oder Traum zu realisieren.
Woher kommen Stimmungsschwankungen im Frühjahr?
In der TCM ist die Leber für den gleichmäßigen Fluss des Qi im Körper zuständig. Stehen wir unter (Dis-)Stress, müssen also in einem langweiligen Meeting hocken, wenn draußen die Sonne scheint, oder still vor dem PC sitzen, statt uns draußen zu bewegen, oder merken wir gerade im Frühling, dass wir unsere Pläne aufgrund äußerer Zwänge nicht realisieren können, dann stagniert das Leber-Qi. Bei extrovertierten Menschen flammen dann Wut und Zorn auf. Und weil wir im sozialen Leben unseren Gefühlen nicht immer freien Lauf lassen können, bahnt sich das gestaute Leber- oder Gallenblasen-Qi zuweilen explosionsartig einen Weg nach oben, wie ein Sektkorken, der aus der Flasche fliegt. Das äußert sich in (Spannungs-)Kopfschmerzen oder Migräne.
Bei Menschen, die Wut eher in sich hinein fressen, greift das stagnierte Leber-Qi das schwächste Organsystem im Körper an: Das kann der Magen sein (Magenschmerz bis hin zu Magengeschwüren), der Darm (typisch ist ein Wechsel von Durchfall und Verstopfung), oder die Lunge (Heuschnupfen oder allergisches Asthma). Weitere Symptome für stagniertes Leber-Qi sind ein Spannungsgefühl unter den Rippenbögen (v.a. rechts), ein Kloßgefühl im Hals, Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen, und bei Frauen PMS und Menstruationsbeschwerden.
Tipps, um das Leber-Qi im Fluss zu halten
- Bewegung ist im Frühjahr besonders wichtig und befreiend. 2-3 mal in der Woche etwa 30-60 Minuten mit wechselnder Beanspruchung. Jetzt ist die beste Zeit, ein Fitness-Programm anzufangen. Es soll (nach anfänglicher Gewöhnung) Spaß machen!
- Es gibt Qi Gong Übungen, die speziell den Leber- und Gallenblasen-Meridian regulieren. Täglich einige Minuten am Morgen dafür freihalten.
- Dehnübungen für Bänder und Sehnen sind jetzt gut. Ebenso Übungen, bei denen alle Teile der Wirbelsäule gedreht werden.
- Sauer macht lustig: Der saure Geschmack zieht zusammen und nach innen, wirkt also der Energie des Leber-Qi entgegen. Häufiger Wasser mit einem Schuss Zitronensaft trinken. Oder säuerliche Kräuter und Gemüse essen (grüne Soße).
- Bittere Kräuter senken das aufsteigenden Leber-Qi. Kaffee macht das auch, schlägt aber bei Menschen, die ständig Wut im Bauch haben, leicht auf das Verdauungssystem.
Tee für das Frühjahr
Ich habe mich zu einem Selbstversuch mit folgender Teerezeptur entschieden:
- 15 g Weißdornblätter (Crataegus Fol.)
- 25 g Queckenwurzel (Graminis Rhiz.)
- 20 g Brennesselblätter (Urticae Herb.)
- 20 g Melissenblätter (Melissa officinalis Fol.)
- 5 g Holunderblüten (Sambuccus nigra Flor.)
3x täglich 1 gehäuften TL/Tasse mit heißem Wasser aufbrühen und 10 Minuten zugedeckt ziehen lassen.
Generell werden Teerezepturen individuell erstellt, so dass sie auf die spezifischen Beschwerden des Patienten eingehen. Dieser Tee ist für Menschen gedacht, die an sich gesund sind und ihren Körper im Frühjahr reinigen und im Gleichgewicht halten wollen.
Der Tee wirkt entwässernd und öffnet auch ein wenig die Hautporen (Holunderblüten), so dass der Körper über die Haut und Niere gereinigt wird. Das kann auch für Patienten mit Hauterkrankungen vorteilhaft sein. Brennesselblätter wirken zudem Leber-Blut stärkend. Melisse beruhigt und harmonisiert bei Stimmungsschwankungen. Weißdorn stärkt das Herz-Qi; in der Phytotherapie wird es bei chronischer Herzinsuffizienz im Stadium I und II eingesetzt; naturheilkundlich sagt man von Weißdorn, er löse Blockaden, wenn wir das Gefühl haben, dass unser Leben nicht im Fluss ist (siehe: Andreas Noll, Dagmar Hemm: Organbalance, GU-Verlag, München 2014, S. 115).
Ich werde den Tee 3 Wochen trinken und dabei auf Kaffee und Alkohol verzichten. Achtung Raucher: Nikotin sollte man auch weglassen, wenn man den Körper konsequent reinigen und stärken will. Zu Ostern berichte ich dann, wie es mir ergangen ist.